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„BIM kann zur Architektur nur bedingt etwas beitragen“

Machen digitale Tools Architekt:innen das Leben einfacher und Entwürfe kreativer? Oder zementieren BIM und Co. reproduzierbare Architektur ohne tiefere Botschaft? Ein Streitgespräch.

Nils Krämer ist freischaffender Architekt. Nach dem Studium in Dessau arbeitete er seit 2006 in Zürich im Büro von Elisabeth und Martin Boesch vornehmlich an Projekten, die eng mit den Themen „Bauen im Bestand“ und „Weiterbauen“ verknüpft sind, wie dem Kurtheater Baden und dem Kongresshaus in Zürich (gemeinsam mit Diener & Diener). Seit 2015 ist er selbständig in Deutschland tätig und betreibt mit seiner Frau Sandra Flohr das Büro EDIT Architektur in Hummelfeld in Schleswig-Holstein.

Shahin Farahzadi arbeitet seit 2015 als BIM-Manager und Leiter des Kölner Standorts bei formitas, einem Unternehmen das sich auf die Digitalisierung der Baubranche spezialisiert hat. Der studierte Architekt hat Erfahrung mit mehr als 20 BIM-Projekten. Er unterstützt Bauherren und Planungsbüros bei der Erarbeitung und Einführung von BIM-Strategien und hält regelmäßig Vorträge über digitales Bauen.

FORMLINER

Herr Krämer, Herr Farahzadi, welche Rolle spielten digitale Hilfsmittel bei Ihrem letzten Projekt?

Nils Krämer

Zuletzt haben wir die Dachsanierung eines historischen Gebäudes in der Stadt Eckernförde abgeschlossen. Diese Aufgabe haben wir im CAD zweidimensional bearbeitet. Wir sind von Plänen im Maßstab 1:100 bis 1:5 relativ schnell in Bemusterungen und in Materialcollagen gegangen und haben uns in Detailfragen eng am Bestand orientiert. Das ist ein Weg, in dem wir gern arbeiten.

 

Shahin Farahzadi

Das letzte Projekt war die Modernisierung der Koelnmesse. Für ein Bauvolumen von rund 800 Millionen Euro wurden 3 große Hallen sowie das Terminalgebäude neu gebaut und mehrere Bestandshallen saniert. Wir haben die Bauherrenberatung, das BIM-Management sowie die Gesamtkoordination der Neubauten und der Sanierungsarbeiten verantwortet, also alle Fachbereiche zusammengeführt und 3D-Modelle überprüft, um Probleme auf der Baustelle zu vermeiden.

FORMLINER

Sehen Sie BIM als Problemlöser?

Shahin Farahzadi

Egal wie gut man als Planer arbeitet, man kann nicht jede Komplexität im Gebäude erfassen. Das wird transparenter, wenn man BIM nutzt. Selbst wenn ich kein TGA-Profi bin, kann ich direkt sehen, wenn zum Beispiel eine Kollision stattfindet. Was früher eine hohe Expertise gebraucht hat, wird heruntergebrochen auf eine verständliche, klare 3D-Geometrie.

Bei einer 2D-Abbildung bleibt vieles Interpretationssache, das kann zu Fehlern führen.

Architekt:innen haben ein sehr gutes Vorstellungsvermögen, aber wenn ich mit Bauherr:innen über den Grundriss oder Schnitte spreche, visualisieren sie nicht immer das gleiche wie ich. Selbst ein Rendering zeigt nur einen kleinen beschönigten Ausschnitt und nie das Gebäude als Ganzes. BIM macht die Vision von Architekt:innen transparent und selbst für Laien verständlich.

FORMLINER

Reicht dafür nicht das analoge Modell, um das Bauherr:innen herumlaufen und das sie anfassen können? Herr Krämer: Brauchen Sie BIM, um Bauherr:innen Ihre Vision zu vermitteln?

 

Nils Krämer

Nein, das kann ich in einer klassischen Darstellungsweise mit echten Zeichnungen und Modellen meist viel ansprechender und weniger abstrakt darstellen, behaupte ich. Es ist schon eine andere Qualität, wie ich mit einem realen Modell argumentieren kann und wie ich mir ein Objekt für die Arbeit zugänglich machen und Verhältnisse von Räumen und Proportionen überprüfen kann. Wir planen im Moment ein Wohnhaus, für das wir einfache kleine Karton-Modelle bauen und parallel dazu die 3D-Gebäudestruktur digital aufbauen. Für die Kommunikation mit dem Holzbauingenieur mit dem wir zusammenarbeiten ist das 3D-Modell sehr sinnvoll, für die Arbeit im Büro und die Kommunikation mit der Bauherrschaft greifen wir gern auf Pläne und Modelle zurück.

In Bezug auf Planungskoordination ist BIM bei großen Projekten und insbesondere bei öffentlichen Bauten aufgrund der Planungstransparenz sicher total sinnvoll.

Ich glaube aber auch, dass BIM zu den eigentlichen Themen der Architektur nur bedingt etwas beitragen kann.

Meiner Erfahrung nach gibt es bei den Werkzeugen, mit denen man Architektur macht, nie ein Entweder Oder, die Wahl der Mittel ist immer an der jeweiligen Aufgabe zu entscheiden. Wie zufrieden man mit dem schlussendlichen Produkt unserer Arbeit ist, ist nur bedingt eine Frage von Effizienz bei der Planung. Mein Eindruck ist, dass es häufig eher um die Frage geht wie sehr ich bereit bin, mich auf die Bearbeitung einer Aufgabe einzulassen und natürlich um die Zeit, die man einer Sache gibt. Und hin und wieder ist das Resultat unserer Arbeite leider auch abhängig von äußeren Einflüssen, über die wir keine Macht haben.

FORMLINER

Die Arbeit mit dem Programm verstellt Ihnen den Inspirationsprozess?

Nils Krämer

Ja, ein Stück weit ist das so. Ich sehe beim digitalen Arbeiten zum Beispiel ein Problem wie das des Maßstabs. Ich meine damit den Verlust der Beschränkung auf einen festen Maßstab. Wenn ich von Hand etwas im Maßstab 1:100 zeichne, dann denke ich auch in diesem Maßstab und kümmere mich um die Fragen, die mit diesem Maß an Ungenauigkeit zu tun haben. Das ist sehr effizient, weil es mir hilft, mich auf bestimmte Sachverhalte zu konzentrieren und andere auszublenden. Beim digitalen Arbeiten fehlt mir diese Korrektur und ich muss mich immer wieder disziplinieren, mich nur um die jeweils relevanten Fragen zu kümmern.

 

Shahin Farahzadi

Viele glauben, dass man bei BIM im 1:1 Maßstab zeichnen muss. Ich plane aber ein Gebäude in 1:500-er oder 1:1000-er Kubatur wie Knete, zeichne erstmal in einer Formsprache und nicht in Bauteilen. Dieser Volumenkörperentwurf baut sich weiter auf, wird mit Bauteilen belegt und anschließend detailliere ich den Entwurf immer weiter aus.

Ich stimme Ihnen aber zu: Entwerfen findet nicht am Computer statt, sondern in einer ruhigen Minute, wenn das Gehirn anfängt kreativ zu arbeiten. Die Umsetzung entscheidet dann aber wie viel Zeit ich dafür habe, kreativ zu sein.

Wer in 2D arbeitet, verwendet viel zu viel Zeit darauf, etwas aus Linien darzustellen und bei Änderungen aufwendig anzupassen. Beim Arbeiten mit BIM-Software wie Revit, ArchiCAD oder anderen denke ich da nicht mehr aktiv drüber nach und kann in Leistungsphase 1 und 2 kreativ mit Platzhaltern arbeiten. Ich setze beispielsweise irgendein Fenster ein, sage es ist 1×1 Meter groß und habe dann meine Vision.

 

Nils Krämer

Das machen wir auch, wenn wir 3D mit parametrisierten Bauteilen arbeiten. Bei ArchiCAD ist das ja schon vor vielen Jahren der Fall gewesen. Da ist zwar keine wirkliche intelligente Struktur im Hintergrund, die mir Werte erzeugt, die ich für eine Kommunikation mit der Bauherrschaft brauche, das Arbeiten erleichtern mir diese Werkzeuge aber sicher zu einem gewissen Teil.

 

Shahin Farahzadi

Dann arbeiten Sie ja sowieso schon mit BIM! ArchiCAD ist BIM. Das Zeichnen mit Bauteilen ist die erste Stufe.

 

Nils Krämer

Ja da haben Sie Recht. Nur hat das für mich mit dem eigentlichen Kern unserer Arbeit wenig zu tun, sondern ist in erster Linie Zeichenarbeit. Diese Art zu arbeiten ist eine Hilfe beim Zeichnen, aber die Qualität der Architektur wird meiner Meinung nach woanders entwickelt.

Architektur machen ist für mich relativ harte Arbeit an einem Grundriss zum Beispiel, der im besten Falle vor mir liegt, den ich betrachten und zu dem ich mit meinen Händen, meinen Augen und meinem Gehirn in Beziehung treten kann. Diesen Bezug habe ich mit rein digitalen Mitteln am Computer nur sehr eingeschränkt. Ich habe da keine intelligente Verbindung von meiner Hand zu meinem Gehirn. Das ist ein sehr indirekter Übersetzungsprozess über Benutzeroberflächen. Ich denke, es geht um ein In-Beziehung-Treten zwischen mir und dem, was ich mache. Und das kann ich über ein digitales Werkzeug weniger gut als über ein manuelles Werkzeug.

 

Shahin Farahzadi

Sie meinen Stift und Papier?

 

Nils Krämer

Ja genau. Das kann ich bis zu einem gewissen Punkt treiben und dann gehe ich relativ schnell ins Digitale und arbeite daran weiter, drucke es mir wieder aus, kläre etwas mit dem Stift, zeichne wieder drüber und passe daraufhin die Zeichnung am Computer an. Für mich hat sich das als ein super effizienter Arbeitsprozess erwiesen. Aber das ist natürlich alles auch ein bisschen Geschmackssache.

 

Shahin Farahzadi

So arbeiten große Architekt:innen wie Zaha Hadid. Obwohl sie die meisten Entwürfe parametrisch oder mit künstlicher Intelligenz ausgearbeitet hat, fingen ihre Entwürfe fast immer mit einer Zeichnung, einem Ölgemälde oder Kohlezeichnungen an. Das eine schließt ja das andere nicht aus.

 

Nils Krämer

Deswegen denke ich, dass wir da einen parallelen Prozess haben. BIM kann uns eine größere Qualität in der Planung bringen. Aber wirklich wichtige Fragestellungen werden wir damit nicht beantworten. Fragen nach der Qualität unserer Lebensumgebung, Umweltfragen, das Thema des bezahlbaren Wohnens: Das sind gesamtgesellschaftliche Themen, bei denen wir uns als Architekten nicht aus der Affäre ziehen dürfen. Und dabei müssen wir aufpassen, dass wir uns nicht auf Kennwerte wie Energieeffizienz oder DIN-Normen reduzieren lassen.

Was wir abliefern, muss auch Architektur sein und einen Beitrag dazu leisten, dass es so etwas wie Baukultur gibt.

Architekturproduktion ist heute zu einem großen Teil zur Dienstleistung verkommen. Und die Leute finden es auch nicht interessant, was der Großteil unserer Zunft da fabriziert. Die Menschen haben keine Beziehung zu den Dingen, die entstehen. Dabei wäre es primär unsere Aufgabe, diese Beziehung zu ermöglichen.

 

Shahin Farahzadi

Wenn man sich Bjarke Ingels anguckt oder Zaha Hadid: Die Architektur, die wie Sie sagen bewegt, ist meistens sehr digital entstanden. Die Nullachtfünfzehn-Architektur ist in den letzten 50, 60, 70 Jahren entstanden. Die schönen Sachen der letzten Jahre, ob das jetzt ein Unterwassermuseum war oder fantastische Hochhäuser, die uns an die Grenzen des Baubaren gebracht haben, sind möglich geworden, weil wir jetzt auf eine andere Art arbeiten.

Vielleicht bringt uns das Digitale wieder dahin zurück, wo Visionäre wie Le Corbusier waren.

Er hat außerhalb der Norm gedacht, weil es finanziell möglich war im Gegensatz zu den meisten Architekten heutzutage. BIM sorgt dafür, dass ein Einfamilienhaus auf dem Land außergewöhnlich, aber trotzdem erschwinglich bleibt. Jetzt sind es vielleicht die Tools, die uns erlauben kreativer zu sein, weil man extrovertiertere Formen erstellen kann.

 

Nils Krämer

Sie sprechen da gerade nur über die Sahneprojekte. Die Generation um Le Corbusier hat in den 50er Jahren viel gute, sehr alltägliche Nachkriegsarchitektur gemacht mit standardisierten Elementen, die immer noch eine große Qualität haben. Ich meine das, was wir heute als Architekt:innen für unsere Zeit bauen und umbauen müssen: Ein großer Teil von dem, was da draußen rumsteht. Und das ist eben nicht nur Bjarke Ingels oder Zaha Hadid. Das muss damit auskommen, dass man mit einer einfacheren Architektursprache einen Hintergrund für ein Leben in Stadt und für die Gesellschaft als Ganzes schafft.

Ich fände es viel spannender zu fragen, wie wir einen attraktiven Stadtraum schaffen und bewahren können als die wenigen besonderen Objekte, die dann als Stararchitektur gelabelt werden.

Meine Frau und ich haben lange in Städten gewohnt, jetzt leben wir auf dem Land. Hier kommt man sehr schnell mit Mobilitätsfragen und Fragen des Strukturwandels in der Landwirtschaft in Berührung. Ich denke, wir müssen als Architekt:innen auch über diese Alltagsthemen, die einem starken Wandel unterzogen sind, sprechen und vielleicht nicht mehr so sehr über Ästhetik.

FORMLINER

Kann BIM zur Lösung von Alltagsproblemen einen Beitrag leisten?

Shahin Farahzadi

Viele Gebäude sind nicht grün, weil es zu zeitaufwändig ist, sich damit zu befassen, welches Material, welches Fenster, welche Dämmung man verwenden soll. Da kann BIM helfen: Durch Automatisierung und Drittsoftwares, die auf die IFC-Modelle aufbauen.

Mit BIM kann man solare Erträge über die Fassade, über Dachflächen auf Knopfdruck errechnen oder sich Produkte für Türen, Fenster und Dämmung vorschlagen lassen, um den Entwurf grüner werden zu lassen. Oder intelligente Gebäude – das sind Themen, die erst durch die Digitalisierung möglich geworden sind.

 

Nils Krämer

Das ist sicher ein Beitrag für Gebäude, die ich heute neu baue. Wir müssen uns doch aber um den großen Bestand von Gebäuden kümmern, der uns die nächsten 20 Jahre massiv begleiten wird. Den wir in Zukunft hoffentlich nicht mehr so einfach abreißen können und wo wir nicht auf den Knopf drücken können und sagen, das ist jetzt ein grünes Gebäude. Das ist auf den ersten Blick nicht so wahnsinnig attraktiv und das sind nicht die coolen Bjarke-Ingels- und Zaha-Hadid-Projekte, sondern ein Stück weit Brot-und-Butter-Architektur, die wir aber dennoch gut machen müssen.

FORMLINER

Nutzen Sie BIM im Bestand, Herr Farahzadi?

 

Shahin Farahzadi

40 Prozent der Projekte die wir machen, sind Bestand. Da machen wir es genauso. Sobald ein Gebäude freigegeben wird, messen wir es auf und bauen diese als BIM-Modelle auf. Man kann das Gebäude ja nicht immer einfach entkernen, viele sind mit Asbest verseucht – da ziehen wir mit BIM Vorteile. Wir nehmen die Rohre ins Modell auf, dann gibt es ein digitales Modell für die Bauarbeiter:innen. Sie laufen mit einem Smartphone über die Baustelle und können mit Augmented Reality die Rohre sehen, ohne dass sie die Wand aufbohren müssen.

Wir arbeiten mit BIM beim Rückbau von Kernkraftwerken und anderen hochkomplexen Bestandsbauten, die so handhabbar werden.

Das war früher nur unter erschwerten Bedingungen möglich und hat die Mitarbeiter:innen Gefahren ausgesetzt. Durch die Aufmessung und das Eintragen der Bauteile wissen wir genau, wie viel endgelagert werden muss.

FORMLINER

Ist das nicht aufwendig, eine ganze Baustelle digital auszustatten?

Shahin Farahzadi

Die neuen Softwareprogramme wie Gamma AR laufen auf gängigen Smartphones. Das Tool begleitet den ganzen Zyklus, bei Umbauten und beim Betrieb kann man darüber Bauteile finden. Auch die Revisionsplanung funktioniert damit: Wenn ich Fehler auf der Baustelle sehe, mache ich ein Foto, wähle das Bauteil an, sage die Wand ist asbestverseucht und markiere sie – und jeder, der das Projekt mit der App verfolgt, weiß Bescheid. Das spart eine Unmenge Zeit und verhindert Fehler, die Geld kosten.

 

Nils Krämer

Aber dabei kommen Sie doch nicht ohne Pläne aus, oder? Es gibt doch immer wieder den Übersetzungsprozess in 2D-Pläne für den Bauantragsplan oder für die Bauherrschaft zu verschiedenen Planungsständen, oder?

 

Shahin Farahzadi

Definitiv.

 

Nils Krämer

Ich würde auch nicht auf den Plan auf der Baustelle verzichten wollen. Das ist doch die Grundlage für den Vertrag, den ich mit dem Handwerker habe.

 

Shahin Farahzadi

Es ist ja kein Entweder Oder – es ist immer ein Zusatz. Mal ehrlich: Auf wie vielen Baustellen waren Sie bis jetzt, wo alles fehlerfrei lief? Es geht doch immer was schief.

Wir hatten mal eine Teilsanierung, bei der teilweise Stockwerke neu eingegossen werden sollten. Der Bauherr wollte die Software GAMMA AR nicht auf der Baustelle haben. Einer unser Mitarbeiter hat ihn dann doch mal überredet, uns mit auf die Baustelle zu nehmen und es sich gemeinsam mit GAMMA AR anzuschauen. Wir haben in den ersten fünf Minuten knapp 20 Durchbrüche gefunden, die mitgegossen werden sollten, aber nicht im Schalungsplan auftauchten. Irgendwo ist da in den 2D-Plänen was verloren gegangen.

 

Nils Krämer

Ein klassischer Planungsablauf mit der entsprechenden Fachplanerkoordination hat so was eigentlich im Griff.

 

Shahin Farahzadi

Nein.

 

Nils Krämer

Doch, bei durchschnittlich großen Projekten, klar. Wenn man seine Arbeit da vernünftig macht, muss man keine Durchdringung vergessen und kann auch über eine einfache Schnittzeichnung und einen einfachen Grundriss eine Kollisionsplanung checken. Das ist in meiner Verantwortung als Planer:in, der Fachplaner:innen zusammenführen muss.

 

Shahin Farahzadi

Das mag bei überschaubaren Projekten funktionieren. Aber auf einem Flughafen kommt man nicht mit 3 oder 4 oder selbst mit 200 Schnitten zurecht, um eine Kollision zu finden. Das ist unmöglich.

Kein Großbau in Deutschland läuft nach den Kosten, die man veranschlagt hat.

2D kriegt man sowas nicht gestemmt, ohne dass man Kosten verursacht. Ich habe mal einen Bauherrn gesprochen, der sagte, er kennt das nicht anders. Wenn er ein Quartier baut, weiß er, das kostet im Schnitt über 10 Prozent mehr als veranschlagt. Und bei einem Bauvolumen von 60 Millionen Euro sind das 6 Millionen Euro, die einfach verbrannt werden.

 

Nils Krämer

Bei einem Gebäude mit einer gewissen Komplexität habe ich immer eine Reserve dabei für Unvorhergesehenes, weil alles andere Quatsch wäre – das kann mir auch BIM nicht bringen. Ich habe in Zürich mit Diener und Diener zusammen am Umbau des Kongresshauses gearbeitet, ein sehr komplexes Gebäude mit Bestand- und Neubauteilen. Natürlich muss man die Haustechnik und die Statik eines Gebäudes von Anfang an mitdenken und in jeder Phase prüfen, ob genügend Spielräume eingeplant sind. Keine Bauherrschaft würde es finanzieren, jedes Gebäude digital dreidimensional aufzunehmen, weil wir sonst unseren Planungspflichten nicht nachkommen könnten.

 

Shahin Farahzadi

Das kostet 50–60.000 Euro. Das ist nichts im Vergleich dazu was es kostet, wenn es in die Hose geht. Bestes Beispiel ist der Berliner Flughafen.

 

Nils Krämer

Gerade bei diesen gängigen Beispielen sind es oft eher politische Fehler und Probleme in der Projektorganisation und als Fragen der Planung.

 

Shahin Farahzadi

Die Baustellen laufen nicht. Bei allen Projekten, an denen wir gearbeitet haben, finden wir im ersten Durchgang Probleme, die auf der Baustelle viele Kosten verursacht hätten.

FORMLINER

Könnten digitale Tools auch bald den Entwurf übernehmen?

Shahin Farahzadi

Im Neubau ist das meiner Meinung nach nur eine Frage der Zeit.

Die meisten Dinge, die man als ästhetisch empfindet, kann man mathematisch greifen, dafür gibt es den Goldenen Schnitt, die perfekten Formen aus der Natur – und diese Sachen können mathematisch fassbar gemacht werden.

Google hat eine künstliche Intelligenz, die die Formsprache von Künstler:innen lernt und dann Kunstwerke in ihrem Stil produziert. Kunstkritiker:innen können nicht unterscheiden, ob das von Chagall oder Monet ist oder nicht. Das würde genauso gut bei einem Gebäude funktionieren. Wenn ich Randbedingungen festlege – Größe, Anzahl der Zimmer, Nutzung – bin ich mir sicher, dass das eine KI gut hinbekommen würde.

FORMLINER

Wofür braucht es dann Architekt:innen noch?

 

Shahin Farahzadi

Architekt:innen zeichnen ja nicht nur. Sie sorgen für die Umsetzung auf der Baustelle. Es muss jemanden geben, der die planerische Hoheit hat.

FORMLINER

Sie beschreiben da grad die Arbeit von Projektmanager:innen und Dienstleister:innen, nicht die von Architekt:innen.

Shahin Farahzadi

Architekt:innen haben vor 200 Jahren auch etwas anderes gemacht als jetzt.

Sie haben die Statik berechnet, die jetzt von Dritten gemacht wird. Jetzt macht man nur noch einen Bruchteil der Arbeit von vor 100 oder 200 Jahren, ist aber immer noch Architekt:in.

 

Nils Krämer

Das stimmt, es geht heute weniger um Architektur, sondern um Gebäudeproduktion. Die Schere, die man zwischen Dienstleistung und Kreativität aufmacht, finde ich falsch. Ich glaube, dass wir am Ende beides brauchen.

Ich würde auch gern weg von dem Ästhetikbegriff, der häufig mit unserer Arbeit verknüpft wird.

Das Kunstwerk, das mir ein Computer ausspuckt, kann ein Kunstwerk sein, aber das ist ja nicht das, was mich an einem Werk interessiert.

Mir geht es doch darum, es aus einem gesellschaftlichen Zusammenhang zu lesen oder mit Blick auf die Produktionsbedingungen, aus denen ein künstlerisches Werk entsteht. Da geht es eben nicht nur um den Goldenen Schnitt – mit dem kann ich die langweiligsten Dinge machen.

Ich kann auch meinem Computer sagen, dass er mir jedes Bad mit bestimmten Parametern entwirft und dann kommt dabei ein gut funktionierendes Bad heraus. Im Gespräch mit der Bauherrschaft merkt man dann, dass das Bad vielleicht gar nicht zum Rest der Wohnung passt und stellt die Badewanne vielleicht in das Schlafzimmer und schon entstehen neue Konstellationen, die viel interessanter sind und uns irgendwie weiterbringen. Das sagt mir aber der Computer nicht. Das sind so Prozesse, die sich nicht parametrisch entwickeln lassen.

 

Shahin Farahzadi

Am Ende glaube ich, dass Sie und ich gedanklich gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Unsere Arbeitsbereiche sind nur unterschiedlich. Leute wie wir müssen sich dafür einsetzen, dass unser Sinn für Ästhetik mit dem Zeitgeist geht und sich anpasst und wir die Leute sind, die bestimmen, in welche Richtung das geht. Und nicht die, die nur danach streben, alles noch billiger anzubieten.

 

Nils Krämer

Ich denke, wir befinden uns als Gesellschaft in einem ständigen Erneuerungsprozess und da müssen wir uns als Architekt:innen fragen, was unsere Berufsrealität mit der Welt da draußen zu tun hat. Das muss jeder für sich machen, das Feld ist sicher groß genug für unterschiedliche Positionen.

Ein echter Verlust wäre aber, wenn wir uns im Zuge neuer Technologien von bewährten Kulturtechniken verabschieden würden. Die derzeitige Situation zeigt uns, wo die Möglichkeiten im Digitalen liegen und wo das Digitale vielleicht auch an seine Grenzen stößt.