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Design vom Menschen aus gedacht

Neue Krankenhausarchitektur stellt den Menschen in den Mittelpunkt – angefangen bei der Form des Baukörpers über Ausblick und Aufteilung des Patientenzimmers. Das Büro Kopvol bringt Architektur und Psychologie zusammen und untersucht, wie sich die Raumwahrnehmung von Kranken verändert.

Kopvol hat ein komplett neues Eltern-Kind-Zimmer entworfen, das Familien Nähe und Privatsphäre zugleich gewährt. Die Architekten von C.F. Møller planen derweil Dänemarks erstes Super-Krankenhaus, das Patient:innen und Personal gleichermaßen gerecht wird.

Krankenhäuser müssen hohe Ansprüche an Hygiene und Effizienz erfüllen – doch zur Genesung gehört mehr als Fachpersonal und Sauberkeit. Architekturbüros konzentrieren sich auf den Effekt, den die Gebäude selbst auf Patient:innen haben.

Ob Geburt oder schwere Krankheit: Krankenhäuser beherbergen Menschen in Situationen, in denen sie besonders schutzbedürftig sind. Sie suchen in diesen Momenten nach Zuspruch, Rückzugsorten, Umgebungen, die Halt geben.

Architektur spielt dabei eine wichtige Rolle. Gemma Koppen und Tanja C. Vollmer sprechen dabei nicht von heilender Architektur – sie halten den Begriff für überzeichnet. Die Inhaberinnen der Büros Kopvol architecture & psychology in Rotterdam und Berlin sind aber davon überzeugt, dass architektonische Entwürfe einen positiven Einfluss auf die Psychologie von Patient:innen haben können. „Supportive Design“ nennen sie das. „Es braucht ein neues, vertieftes Verständnis von den Bedürfnissen der Menschen in einem Krankenhaus. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie die gebaute Umgebung Einfluss nehmen kann auf das menschliche Wohlempfinden, auf körperlich messbare Stresslevel, auf Schmerzlevel“, sagt Koppen.

Kopvol ist ein besonderes Büro: Gemma Koppen und Tanja C. Vollmer vereinen in ihrer Arbeit Architektur und Psychologie. Denn Gemma Koppen ist studierte Architektin, arbeitete zunächst beim Niederländischen Bauministerium in Den Haag, dann beim Schweizer Büro Herzog & DeMeuron, bevor sie 2009 mit Tanja C. Vollmer das gemeinsame Büro eröffnete.

Vollmer studierte und promovierte in Biologie und Psychologie, leitete die Psycho-Onkologische Ambulanz am Ludwig-Maximilians-Universitätsklinikum in München, lehrt und forscht heute an den Technischen Universitäten in Berlin und München zum Thema Bedürfnisorientierte Architektur.

Klinik Arlesheim

Architekt:
ARGE MetronKopvol

Ort:
Arlesheim, Schweiz

BGF:
17.500qm

Jahr:
2018

„Wenn der Körper erkrankt, erkrankt der Raum mit ihm“, sagt Vollmer.

Raumanthropodysmorphie bezeichnet Kopvol ihre Theorie über diesen Effekt, dass sich die Raumwahrnehmung von Menschen mit schwerer Krankheit verändert. Wenn etwa ein Tumor im Körper wächst, sich im Inneren ausbreitet, erleben Patient:innen nicht nur eine Störung des eigenen Körpergefühls, sondern auch ihrer Umgebung.

Bewiesen hat Kopvol das mit einer qualitativen Studie in allen onkologischen Kliniken der Niederlande 2009: Das Team folgte den Patient:innen und ihren Partner:innen an einem Behandlungstag durchs Krankenhaus. Bis zu 6 Stunden verbrachten die Studienteilnehmer:innen auf verschiedenen Stationen und wurden dort immer wieder psychologisch befragt und physiologisch „vermessen“: Die Erkrankten erlebten die Räume als enger, überfüllter und dunkler als ihre Begleitpersonen.

Massive Baukörper verstärken negative Gefühle

Ansicht Patientenzimmer, Klinik Arlesheim ©ARGE Metron – Kopvol 2018

Aus solchen Erkenntnissen heraus entwickelt Kopvol architektonische Konzepte für Krankenhäuser. Für ihr „supportive design“ orientieren sie sich an sieben Qualitätskriterien: Privatheit, Orientierung, Geruch, Geräusch, das menschliche Maß, Aussicht und Weitblick sowie Powerpoints wie zum Beispiel Tageslicht.

Wie Patient:innen empfinden, fängt schon beim Weg ins Krankenhaus an. Hier stellt sich zum Beispiel die Frage nach dem menschlichen Maß: „Vor einem Bau mit 20 Geschossen fühlen Besucher:innen sich wie eine kleine Nummer. Ein massiver Baukörper ohne Hinleitung und gekleidet in eine glatte Fassade kann negative Gefühle verstärken, etwa sich verloren zu fühlen und keine Kontrolle mehr zu haben. Die Formensprache des Baukörpers und eine strukturierte Fassade können solche Wahrnehmungen beeinflussen“, betont Koppen.

Im schweizerischen Arlesheim widmet sich Kopvol derzeit dem Neubau der Anthroposophischen Klinik, die vor beinahe 100 Jahren von der niederländischen Ärztin Ita Wegmann gegründet wurde.

Die Architektur des Neubaus wird den anthroposophischen Ansatz der menschgerichteten Medizin, Pflege und Pharmazie ausdrücken: Gemeinsam mit dem Schweizer Büro Metron entwarf Kopvol einen Bau, dessen skulpturale Fassade mit dem Material Stein spielt: Steine in unterschiedlichen Größen und Formen kreieren eine aufrechte Bewegung nach oben.

Alle Zimmer verfügen über Balkone, die horizontal in die vertikalen Säulen über die Fassade hinweg eingewebt sind und von der abgeknickten Dachkante beschattet werden. Der Bau mit seinen abgeschrägten Patientenzimmern und gebündelten Therapiebereichen reagiert auf das Phänomen der Raumanthropodysmorphie.

Patientenzimmer neu gedacht

Eltern-Kind-Patientenzimmer (OKE), Princess Máxima Zentrum für Kinderonkologie in Utrecht, Architekturkonzept Kopvol 2011, Entwurf Liag 2018. ©Liag 2018

Für das Princes Máxima Centrum für Pädiatrische Onkologie in den Niederlanden erdachte Kopvol das Eltern-Kind-Zimmer und damit das klassische Patientenzimmer neu. „Eltern bekommen ihren ganz eigenen Zimmerteil, fast wie in einer Suite “, erklärt Vollmer. Bisher mussten Eltern auf einer Klappcouch direkt neben dem Kinderbett übernachten oder schlimmer noch in einem 2-Bett-Zimmer mit zwei Kindern und einem fremden Elternteil. „Untersuchungen zeigen aber, dass es die Schlafqualität der Kinder stört, wenn die Eltern so dicht und dauerhaft bei ihnen schlafen. Auch die Entwicklung pubertierender Kinder wird so beeinträchtigt“, sagt Vollmer.

Als Lösung entwarfen Vollmer und Koppen den eigenen Zimmerbereich für die Eltern. Das Kind kann die Eltern vom Bett aus sehen und mit ihnen interagieren, Eltern haben Rückzugsmöglichkeiten wie einen Schreibtisch für konzentriertes Arbeiten. Der Bereich lässt sich mithilfe einer steuerbaren Schiebewand entweder visuell, akustisch oder komplett trennen. Die Kontrolle über diese Trennung hat das Kind. Der Elternbereich hat einen eigenen Eingang, ein eigenes Badezimmer und einen eigenen Balkon.

„Diese Raumaufteilung steigert die Zufriedenheit der Familien und führt zu einer Entstressung“, so Vollmer.

Die neue Raumaufteilung macht die Patientenzimmer um je 7 Quadratmeter größer. „Das konnten wir nur durchboxen, weil wir den positiven Effekt belegen konnten. Deshalb hat uns der niederländische Innovationsfonds der Krankenversicherer unterstützt und 5 Millionen Euro vorgeschossen“, sagt Koppen. Ihr Konzept für das Eltern-Kind-Zimmer hat sich so bewährt, dass es demnächst zu neuen europaweiten Standards im Bau von Kinderkliniken führen wird.

Princes Máxima Centrum für Pädiatrische Onkologie

Architekturkonzepte OKE und ABO: 
Kopvol

Architekt: 
Liag

Ort:
Location Utrecht, Niederlande

BGF:
45.000qm

Jahr:
2010-2019

Atrien statt langer Gänge

Auch das dänische Büro C.F. Møller geht bei Krankenhausarchitektur neue Wege. Der Neubau des Haraldsplass Krankenhaus im norwegischen Bergen folgt dem Weg der beiden Flüsse, zwischen denen er platziert ist. Die Fassade besteht aus weißem Faserbeton und warmen Eichenholzelementen, die das Gebäude in die umgebende Natur einbetten. Alle Krankenzimmer haben einen Ausblick auf das umgebende Tal und die Stadt. Die Fenster sind so angeordnet, dass Patient:innen diesen Blick auch vom Bett aus haben.

Neben den Bedürfnissen von Kranken und Besucher:innen müssen auch die des Personals berücksichtigt werden.

Die Logistik in einem Krankenhaus bestimmt, wie viel Zeit Ärzte und insbesondere das Pflegepersonal auf langen Gängen verbringen, während sie zu Krankenzimmern oder in Behandlungsräume eilen. C.F. Møller hat Haraldsplass deshalb ohne lange Gänge designt. Stattdessen sind die Bettenstationen um große überdachte Atrien herum angelegt. Sie gewährleisten kurze Wege und damit auch mehr Nähe zwischen den Pflegekräften und Patient:innen. Die Atrien bringen gleichzeitig Tageslicht in das Gebäude und tragen so zum Raumgefühl innerhalb des Krankenhauses bei.

Haraldsplass Krankenhaus

Architekt:
C.F. Møller

Ort:
Bergen, NO

BGF:
14.200 qm/187 Betten

Jahr:
2011-2020

Atrium, Bettenstation Haraldsplass Hospital, ©Joergen True

Wenn beim Entwerfen der menschliche Maßstab gilt, wie designt man um Patient:innen herum eine ganze Krankenhausstadt?

Dieses Projekt haben sich C.F. Møller Architekten gemeinsam mit Cubo Arkitekter mit dem Universitätskrankenhaus Aarhus vorgenommen. Der Neubau wird mit dem Bestandbau des Universitätskrankenhauses Skejby zum ersten Super-Krankenhaus in Dänemark vereint. Der Anspruch der Architekten: Ein ultramodernes Hospital mit evidenzbasiertem Design.

Aarhus Universitätsklinikum

Architekt:
C.F. Møller

Ort:
Aarhus, Dänemark

BGF:
216.000 qm Neubau, 159.000 qm Umbau / 797 Betten, 43 Dialyse-Sitze, 80 Hotelbetten

Jahr:
2007-2019

Innenansicht, Aarhus University Hospital, ©Thomas Moelvig

Weil der Gesamtkomplex die Größe einer dänischen Provinzstadt haben wird, organisieren die Architekten ihn in Quartiere, Straßen, Plätze und Höfe. Sie dienen den Nutzern als Orientierungshilfe und integrieren grüne Akzente. Der Komplex ist in verschiedene Spezialbereiche unterteilt, deren Bauten im Erdgeschoss öffentliche Bereiche inklusive Läden, Banken und sogar einem Kino beherbergen. In den beiden Stockwerken darüber liegen Behandlungsräumen.

Die Bettenzentren sind in den bis zu vier Etagen darüber angesiedelt. Sie bestehen aus Einzelzimmern, die alle mit Tageslicht versorgt werden. Von dort aus haben Kranke und Besucher:innen einen Blick auf die Landschaft und Gartenflächen, die um die Gebäude herum designt wurden. Die Architekten wollen mit ihrem Entwurf die Bedürfnisse von Kranken und Angehörigen, sowie die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals optimal abdecken.

Entwürfe wie die von Kopvol oder C.F. Møller sind der Beginn eines neuen baulichen Verständnisses in der Gesundheitsbranche. „In den 80er-Jahren hat die Technik in Krankenhäusern extreme Fortschritte gemacht. Das stand lange im Vordergrund und hat sich in den Krankenhausbau übertragen: Man hat über die Platzierung von MRTs und Computertomografen nachgedacht, der Mensch kam erst ganz am Ende“, sagt Koppen. Die neue Krankenhausarchitektur fängt beim Menschen an.