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Die Bauwerks-Bibliothek

Die Digitalisierung hält in allen Wirtschaftszweigen Einzug, so auch in der Baubranche. Und doch ist Deutschland noch kein BIM-Land. In der Branche schwingt das Bewusstseinspendel für den digitalen Planungsprozess zwischen Euphorie und Skepsis. Für viele Akteure ist BIM vor allem eines: ein großes Fragezeichen. Antworten gibt das FORMLINER-FAQ zu BIM:

FORMLINER

Was ist BIM?

FAQ

Building Information Modeling, kurz BIM, ist eine Arbeitsmethode im Bauwesen. Es handelt sich ausdrücklich nicht um eine Software, sondern einen Prozess: BIM steht für eine Planungsweise, die alle Informationen und virtuellen Modelle eines Bauwerks von der Vorplanung bis zum Rückbau umfasst und zentral verwaltet. Die gesammelten Bauwerksmodelle fungieren wie eine Bibliothek, in der alle Informationen rund um das Bauwerk erfasst sind. Sie können während des gesamten Lebenszyklus eingesehen werden und dienen als Entscheidungsgrundlage im Planungs- und Bauprozess, im Facility Management und beim Rückbau. Verwaltet werden nicht nur unmittelbar bauwerksrelevante Daten, sondern allgemein projektrelevante Informationen: Maße, Mengen, Grundrisse, 3D-Modelle und Visualisierungen, Kosten und Budget, Zeitabläufe und Fertigstellungstermine, Ressourcen, sogar Renditeziele eines Gebäudes – die BIM-Arbeitsweise macht all diese Angaben für alle Projektbeteiligten zugänglich.
Viele Modellelemente sind intelligent und kennen ihre physischen Eigenschaften. Das ermöglicht ein neues Optimierungsniveau, selbst bei späteren Datenänderungen, die in neue Kalkulationen übersetzt und in die jeweiligen Module eingetragen werden. Ein Beispiel: Die Zahl der Fenster wird verändert. Der Architekt vermerkt die Änderung im visuellen Modell, gleichzeitig wird die Anzahl der Fenster in der Mengenkalkulation, im Kostenplan und in der Liste der zu bestellenden Fenster aktualisiert. Bauprojekte werden durch die Anwendung von BIM transparenter, effektiver und auch günstiger.

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Ist BIM Pflicht?

FAQ

Nein. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat aber einen Stufenplan erarbeitet, der den Weg zur Anwendung digitalen Planens, Bauens und Betreibens von Gebäuden ebnen soll. Das BMVI adressiert ihn vor allem an öffentliche Auftraggeber und Auftragnehmer und wird den Stufenplan bei der Realisierung eigener Bauprojekte befolgen.
Die erste Stufe hat bereits begonnen und dauert bis 2017. Diese Zeit definiert das BMVI als Vorbereitungsphase, die der Aus- und Weiterbildung, der Klärung rechtlicher Fragen, der Erstellung von BIM-Leitfäden sowie Standardisierungs-Prozessen und Pilotprojekten gewidmet ist. Mitte 2017 beginnt die erweiterte Pilotphase, in der stetig mehr Verkehrsinfrastrukturprojekte mit den BIM-Anforderungen des Leistungsniveaus 1 durchgeführt werden. Ende 2020 soll BIM mit Leistungsniveau 1 so breit implementiert sein, dass es im gesamten Verkehrsinfrastrukturbau angewendet wird.

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Was ändert sich für Planer?

FAQ

BIM bedeutet für Planer und Architekten zunächst einen Lernaufwand: Wie werden BIM-Files generiert, wie werden BIM-Daten ausgewertet, wie gelingt der Umgang mit einer für viele Akteure zugänglichen Datenbank, wie erfolgt der Austausch?
In der konkreten Anwendung bedeutet die Arbeit mit BIM, dass sich der Arbeitsaufwand verschiebt: Die zentrale Datenbank wird direkt zu Projektbeginn angelegt. Entsprechend viele Daten müssen bereits zu Projektbeginn zusammengetragen und in die verschiedenen Modellebenen eingepflegt werden. Der höhere Arbeitsaufwand zu Beginn minimiert im Gegenzug den Aufwand bei Genehmigungsplanung, Ausführung und Fachplanung, da sich viele Details aus dem Modell ableiten lassen.
Für Planer bedeutet BIM digitales Arbeiten mit zuweilen großen Datensätzen und die Abstimmung mit verschiedenen Akteuren. Die Arbeitsweise ermöglicht zwar effizientere Prozesse, benötigt aber gerade zu Beginn auch viel Kommunikation und Abstimmung.

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Insellösung, 3D oder 7D – wie bitte?

FAQ

Das Ausrollen der Bauwerksdatenmodellierung auf alle projektbezogenen Daten und Prozesse als BIM-Gesamtlösung ist ein kostspieliger und aufwändiger Idealfall. Viele Planungsbüros tasten sich daher vorsichtiger an das Thema heran und entscheiden sich zunächst für „Little BIM“, das den Einsatz als „Insellösung“ innerhalb eines Unternehmens oder einer Planungsdisziplin bezeichnet. Dabei werden zumindest einzelne Disziplinen mithilfe BIM-fähiger Softwarelösungen geplant. Nicht selten ist die Insellösung auch die simple Folge der Tatsache, dass noch nicht alle Beteiligten der Planungskette in der Lage sind, BIM-konforme Fachmodelle und Datensätze zu liefern. Je mehr Beteiligte ihre Daten verknüpfen, umso mehrdimensionaler der BIM-Datensatz: Das dreidimensionale Gebäudemodell kann um den Parameter Zeit erweitert werden und wird damit 4D-BIM: der gesamte Bauablauf kann dann visualisiert werden, was Zeitmanagement und Logistik optimiert. Werden außerdem Mengen, Baukosten und Ressourcen wie Baustoffe, Maschinen und Personal berücksichtigt, spricht man von 5D-BIM. Als 6D-BIM werden Modelle bezeichnet, die sogar Lebenszyklen des Gebäudes in die Planung aufnehmen. Werden Aspekte der Gebäudebewirtschaftung und sogar des Abrisses und der Materialentsorgung schon im Vorfeld durchdacht, hat das positive Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit. Und schließlich gibt es sogar 7D-BIM, das die Gebäudenutzung und Facility Management berücksichtigt.
Ein Blick auf die vielfältigen Erweiterungen zeigt: BIM ist gerade für Einsteiger auch im kleineren Rahmen möglich und kann schrittweise erweitert werden.

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Welche Vorteile bietet BIM?

FAQ

Die Planung von Bauprojekten auf vollständig digitaler Basis macht alle projektbezogenen Daten jederzeit für alle Beteiligten zugänglich und sorgt dadurch für eine erhebliche Prozessoptimierung. Die von Roland Berger und der Hypo Vereinsbank herausgegebenen Studie „Bauwirtschaft im Wandel – Trends und Potenziale bis 2020“ erläutert die Vorteile für die einzelnen Akteure: „Der Auftraggeber verfügt über ein Tool, um den Bauprozess einfacher zu überwachen. Planer können im Entscheidungs- und Planungsprozess einfacher kommunizieren und koordinieren. Baustoffhersteller haben die Möglichkeit, neue Produktmodule und Dienstleistungen für die Bauindustrie anzubieten. Die Bauunternehmer selbst gewinnen durch BIM eine höhere Kostensicherheit, da sich Mengen und Kosten modellbasiert ermitteln lassen.“
Vorausgesetzt alle Beteiligten nehmen ihre Rolle im digitalen Bauprozess ernst und bringen sich aktiv ein, sorgt BIM für mehr Transparenz auf allen Seiten, verhindert Kommunikationsfehler, beschleunigt den Planungs- und Bauprozess und spart dadurch Nerven und Kosten.

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Wie spart BIM Geld?

FAQ

Zugegeben: Wer sich für BIM entscheidet, hat zunächst erst einmal Kosten: Häufig braucht es leistungsfähigere Computer-Hardware, neue Software und Schulungen. Die Kosten dafür können schnell fünfstellig ausfallen und sind vor allem für kleinere Planungsbüros eine Herausforderung.
Doch die Investition lohnt sich: Weil BIM die Arbeitsabläufe verbessert und Daten zentral verwaltet, werden Mehrfacheingaben vermieden, Planungsalternativen können schneller analysiert werden, Bau- und Montageabläufe können vorab detailliert simuliert werden, um Überraschungen auf der Baustelle zu vermeiden.
Je weiter das Projekt fortgeschritten ist, umso größer das Einsparpotenzial – man spricht deshalb auch vom BIM-BAM-BOOM-Effekt: Die effizientere und vorausschauende BIM-Planung wirkt sich positiv aus auf die Herstellungs- und Bauphase (Building Assembly Modeling, BAM) und schließlich auf die Betriebsphase (Building Owner Operator Model BOOM). Damit bringt BIM auch für Bauherren und Investoren Vorzüge mit sich. Planungs- oder Konstruktionsfehler können im virtuellen Modell früh erkannt und vermieden werden, somit sinkt für sie das Projektrisiko.

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Wo liegen die Herausforderungen?

FAQ

So vielfältig die Möglichkeiten und Vorteile sind, dürfen die derzeit bestehenden Unsicherheiten und Reibungsflächen nicht ignoriert werden.
Ein entscheidender Punkt sind honorarrechtliche Fragen: Aktuell ist offen, wie der planerische Mehraufwand honoriert wird, wem die kooperativ erarbeiteten BIM-Daten gehören und wer für Planungsfehler haftbar ist.

Auch die Kompatibilität von Datensätzen, die zwischen den einzelnen Beteiligten getauscht werden, gilt noch als Problem. Vom Konzept bis zum Bau und der Bewirtschaftung werden von verschiedensten Akteuren zahlreiche Informationen in unterschiedlichen Datenformaten erstellt, für die Schnittstellen und gemeinsame Standards geschaffen werden müssen. Deshalb erarbeiten Vereine wie BuildingSmart International, welche sich für die Akzeptanz und Verbreitung von BIM stark macht, BIM-konforme Datenübergabestandards wie die Industry Foundation Classes (IFC) zur Übergabe von Basisdatenmodellen.
Wie bereits erwähnt, verlangen die Datenmengen beim Arbeiten mit BIM ein hohes Maß an Kommunikation und Kooperation. In Deutschland wird dieser Punkt von BIM-Skeptikern oft als lästige oder unnötig komplizierte Folge des digitalen Arbeitsprozesses empfunden. Diese Sichtweise wurzelt in der kleinteiligen deutschen Planungsbürolandschaft, die über Jahre ein starkes Wettbewerbsdenken etabliert hat. Wer jedoch alle Vorteile von BIM wirklich nutzen will, muss umdenken und den digitalen Planungsprozess als Chance für neues, partnerschaftliches Arbeiten begreifen.

Illustrationen von Matthias Hohmann